Zwischen Akzeptanz und Ablehnung
Nach einem Verlust eine neue Beziehung einzugehen oder allein darüber nachzudenken – das passiert nicht im luftleeren Raum. Neben eigenen Ängsten und Überzeugungen spielt das Umfeld oft eine große Rolle. Die Reaktionen können unterschiedlich ausfallen und große Zweifel schüren.
In dem Fernsehfilm "Eine Liebe später" erleben die Zuschauer*innen eine junge Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes neu verliebt und eine Beziehung eingeht. In einer Szene steht sie ihrem Schwiegervater gegenüber und muss sich Vorwürfe anhören: dass die Witwen der früheren Generationen – seine Mutter und Großmutter – nicht im Traum daran gedacht hätten, den Ehemann nach dem Tod zu ersetzen. Dass diese Frauen ihr Leben lang aus Überzeugung allein(erziehend) geblieben seien. Seine Schwiegertochter kontert: Nach dem Krieg hätte es ohnehin kaum heiratsfähige Männer mehr gegeben und überhaupt gehe das nur sie selbst etwas an. Tolle Reaktion, denkt man, wenn es doch nur so einfach wäre.
Widersprüchliche gesellschaftliche Vorstellungen
Es bleibt nicht die einzige Situation im Film, in der sich die verwitwete Mutter rechtfertigen muss dafür, dass sie einen neuen Mann trifft und sich mit ihm bald eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann. Die Szenen zeigen ziemlich gut, wie althergebrachte, niemals überdachte Überzeugungen, Traditionen und gesellschaftliche Konventionen unreflektiert weitergetragen werden und zum Vorschein kommen, sobald jemand davon abweicht.
Manche Vorstellungen und Rollenbilder scheinen uns heutzutage offensichtlicher überholt und damit einfacher zu vernachlässigen als andere. Dass man nach einem Trauerfall mindestens ein Jahr lang Schwarz tragen soll, lässt sich noch verhältnismäßig leicht abschütteln. Dass aber viele Menschen immer noch glauben, es müsste diese oder jene Zeitspanne eingehalten werden, um nach einem Verlust wieder eine Partnerschaft eingehen zu können, steckt tiefer in den Knochen. Und weckt Zweifel wie etwa:
- Darf ich mich nach einem halben Jahr (sechs Wochen, drei Tagen …) wieder neu verlieben?
- Signalisiert das meinem Umfeld, dass ich nicht mehr trauere?
- Muss ich meinen Schmerz jetzt für mich behalten, da ich doch einen neuen Partner oder eine neue Partnerin habe?
- Verletze ich damit das Andenken an meinen verstorbenen Menschen?
- Was werden meine „ewigen Schwiegereltern“ dazu sagen?
- Und wie nehmen es meine Kinder auf?
Meinungen, gut gemeinte Ratschläge und Überzeugungen – von anderen vorgetragen oder längst verinnerlicht – können einen enormen Druck aufbauen und die Beziehung beeinflussen. Das funktioniert übrigens auch in die gegenteilige Richtung: Nicht selten möchten Umstehende trösten mit dem Hinweis „Du findest bald jemand anderen“ oder „Du möchtest doch noch Kinder kriegen? Dann beeilst du dich mal besser“.
Die junge Witwe im Film ist im ganzen Film taff und direkt. Sie kann die Gefühle für ihren verstorbenen Mann sowie die wachsende Verliebtheit zu ihrem neuen Partner gut unter einen Hut bringen. Sie lässt sich von ihrem irritierten Umfeld, insbesondere von ihren nebenan wohnenden Schwiegereltern, nicht beirren. Sogar die Kinder sind bald damit einverstanden, dass ein neuer Mann mit am Frühstückstisch sitzt. Im realen Leben geht das Ganze oft nicht so holperfrei.
Also ich finde ja, es ist noch zu früh
Die Reaktionen, die einem das Leben schwermachen, können mannigfaltig sein. Nicht wenige Betroffene hören sich folgendes an (oder erzählen es sich direkt selbst):
- Du hast nicht lange genug oder nicht richtig getrauert.
- Der oder die Neue ist doch nur eine Schmerztablette für dich.
- Du ersetzt ihn oder sie.
- Das ist Verrat und Betrug an dem oder der Verstorbenen.
- Du hältst das Andenken nicht richtig aufrecht, wenn du jemand Neues suchst.
Manche machen die Erfahrung, dass der neue Partner oder die neue Partnerin hartnäckig ignoriert und weiterhin nur einer von beiden irgendwo eingeladen wird. Mitunter wird der neue Mensch an der Seite vom Umfeld mit dem früheren Partner verglichen. Es ist leicht vorstellbar, wie belastend dies für eine neue Beziehung ist, wenn man offenbar nichts richtigmachen kann.
Positive Reaktionen mit einem Haken
Doch nicht immer muss es negative Reaktionen aus dem Familien- und Bekanntenkreis geben. Auch positive und bestärkende Rückmeldungen erleben Trauernde, die eine neue Beziehung eingehen. Bekannte und Verwandte, die sich ehrlich freuen und den neuen Partner, die neue Partnerin mit offenen Armen empfangen.
Die Begeisterung aus dem Umfeld hat jedoch manchmal einen Haken: Ist doch eine neue Partnerschaft für manche Außenstehende gleichbedeutend damit, dass die Trauerzeit nun vorbei sein muss. Schließlich ist ja nun ein neues Glück gefunden. Im Freundeskreis ist damit sogar manchmal der oder die Verstorbene abgehakt und kommt in Gesprächen nicht mehr vor. Viele sind außerdem erleichtert, wird doch die Verantwortung für das Seelenheil vermeintlich auf den neuen Partner oder die neue Partnerin übertragen. So können auch bestärkend gemeinte Aussagen verletzend sein:
- Na gottseidank, die Jüngste bist du ja auch nicht mehr.
- Endlich haben die Kinder eine neue Mutter.
- Da hast du aber Glück gehabt, dass dich noch jemand will.
- Dann bist du ja endlich über die Trauer hinweg.
- Das ging aber schnell.
- Schau, dass ihr bald heiratet und Kinder kriegt, sonst wird das zu spät.
- Vergraul sie bloß nicht, wer weiß, ob du nochmal jemanden findest.
Darüber reden
Was wie so oft hilft: in einen inneren Dialog mit dem oder der Verstorbenen gehen. Ihre oder seine Meinung ist es schließlich, die am meisten Gewicht hat, und die einem den Rücken stärken kann in der Auseinandersetzung mit dem Umfeld. Außerdem wichtig: sich mit anderen Betroffenen austauschen, solidarisieren und gegenseitig entlasten. Als Teil einer (Schicksals-)Gemeinschaft ist es leichter, gesellschaftliche Erwartungen zu sprengen als allein.
Zu guter Letzt: reden, reden, reden. Mit dem neuen Partner bzw. der neuen Partnerin, mit den Kindern, mit den (Schwieger-)Eltern, Freunden – so es die eigene Energie zulässt. Manchmal gelingt es, die eigene Sichtweise und die eigenen Empfindungen verständlich zu machen. Manchmal hilft aber auch nur eine gesunde Ignoranz von Kommentaren und Ratschlägen. Die anderen haben nicht dasselbe erlebt, man kann nur dem eigenen Kompass vertrauen.
Text: Sonja Schwalb
Copyright: Nicolaidis YoungWings Stiftung