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Stiftungspost: Heimat | Intuition | KI

Stiftungspost: Heimat | Intuition | KI
Season's Greetings


Liebe alle,

künstliche Intelligenz kann die Art und Weise, wie wir trauern, grundlegend verändern – das ist gerade in etlichen Medien zu lesen (Beispiele in der Rubrik Anderswo). Manche sehen darin Chancen, andere eine große Gefahr. In der Stiftung sind wir im Moment dabei, Argumente zu sammeln, Informationen zu bewerten und eine Haltung zu entwickeln, die weder verteufelt, noch verklärt. Sondern in den Blick nimmt, was Trauernde tatsächlich auf ihrem Weg brauchen. Weil das Feld der künstlichen Intelligenz komplex und das Entwicklungstempo hoch ist, werden wir diese Haltung nicht in Stein meißeln können – vielleicht muss sie sich morgen wieder verändern. Wie Unternehmen schon heute versuchen, die Sehnsucht von Hinterbliebenen zu kommerzialisieren, zeigt ein neuer Dokumentarfilm (siehe Fundstück). Wie wichtig eine echte, analoge Basis ist, die Erfahrung von Betroffenen (Wir an euch & Einblick).

Herzliche Grüße,
Euer Stiftungsteam

 

Wir an Euch | Heimat

 

Welche Gedanken und Eindrücke begegnen uns in unserer Arbeit? Womit beschäftigen wir uns gerade und was treibt uns um? Ein offener Brief – diesmal von Alice Werle.

Der Duden definiert Heimat als „Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)."

Was hat Heimat mit Trauer zu tun? Nun ja, sehr viel. Die Trauer beinhaltet so viel mehr als den Verlust des Partners, der Partnerin, des Elternteils oder des geliebten Menschen ganz allgemein. Sie bedeutet oft auch den Verlust des Geborgenfühlens, des sicheren Hafens, der eigenen Heimat oder gar Identität.

Seit ich vor rund vier Jahren selbst in der Stiftung als Trauernde ankam, habe ich das nach und nach verstanden und mir ein neues Gefühl von Heimat geschaffen. Und seit rund zwei Jahren kommen Trauernde auch zu mir und berichten mir von Heimat in den unterschiedlichsten Facetten.

Sie erzählen von so vielem, was Trauer ausmacht:
„Er war meine Heimat, egal wo wir lebten, wohnten, reisten, arbeiteten, liebten oder lachten, immer war er genau das für mich.“
„Nie habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, wie es wohl ohne sie wäre, denn sie war da, meine Geborgenheit, meine Heimat.“
„Und dann war er nicht mehr da und ich war verloren – ohne Boden, ohne Halt, ohne Sicherheit, ohne einen Ort, wo ich hingehöre, ohne ihn.“

So landen sie bei mir und meinen Kolleginnen und Kollegen als Menschen mit vielen Fragen, auf der Suche nach einem Selbst, einem Plan oder einem Sinn.

Wir können nicht auf den Immobilienseiten im Internet nach einer neuen Heimat in Form einer Wohnung oder einem Haus für unsere Trauernden Ausschau halten. Wir können keine perfekten Orte finden, wo Trauernde hinziehen können und dann ist unsere Arbeit getan. Heimat heißt ja auch nicht automatisch, dass es sich um Räume mit Wänden handeln muss, vielen ist das „beheimatet sein“ bei und mit Menschen oder auch in der Natur das, was sie als Heimat beschreiben würden.

Unsere Rolle und was wir tun können, ist, einen Halt zu geben, einen Raum für die Hoffnungslosigkeit. Da geht es noch nicht darum, den Trauernden eine Landkarte in die Hand zu drücken und zu überlegen, wo die neue Heimat sein soll. Sondern erst einmal darum, zu betrauern, dass die bisherige Heimat so nicht mehr existiert. Erst dann gibt es ganz kleine oder auch schon größere Gedankenspiele, wo die Reise Richtung neuer Heimat hingehen könnte. Diese Reise ist nicht immer geradlinig, sie erfordert Kraft, Mut, Zeit, verschiedene Transportmittel, gutes Schuhwerk etc. Und wir sind dabei, so lange wir gebraucht werden.

Wenn sich dann wieder eine trauernde Person verabschiedet und sagt oder schreibt „ich fühle jetzt wieder, dass ich meinen Platz im Leben haben kann“ – dann wissen wir, dass SIE oder ER auf der Suche nach Heimat und dem eigenen Frieden auf einem guten Weg ist. Genau das erfüllt mich ganz persönlich jedes Mal aufs Neue mit großer Dankbarkeit, dass ein Mensch uns für eine gewisse Zeit so viel Vertrauen entgegengebracht hat, dass diese Begleitung möglich war und ist.

Ich wünsche allen Trauernden, dass sie ihre Heimat neu für sich finden können – am gleichen Ort oder völlig anders als bisher – kommt alle gut und sicher dort an.

Eure Alice


Beratung und Begleitung nach dem Tod des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin


IMPULS | Du Sollst & du Darfst


Trauernde sind mit vielen Erwartungen konfrontiert, die sich zum Teil sogar widersprechen. Du solltest ... endlich mal wieder lachen, alle Tränen rauslassen; ... dich unbedingt krankschreiben lassen, langsam wieder in die Arbeit gehen; ... nach vorne schauen, professionelle Unterstützung suchen, loslassen, Abschied nehmen, weitermachen. Das überfordert nicht nur, sondern löst das verletzende Gefühl aus, nicht verstanden zu werden, zu enttäuschen, falsch zu sein oder nicht richtig zu funktionieren. Da kann es helfen, alle empfundenen Erwartungen – egal ob sie ausgesprochen wurden oder nicht – als "Du sollst"-Sätze aufzuschreiben. Nimm dir dann im zweiten Schritt die Liste vor und achte darauf, wie dein Bauchgefühl auf die einzelnen Anforderungen reagiert. Was meint deine Intution dazu? Und wie würdest du die Erwartungen bewerten, wenn sie nicht an dich, sondern zum Beispiel an eine trauernde Freundin gerichtet wären? Notiere dir im letzten Schritt einige "Du darfst"-Sätze, die für dich stimmig sind. Etwa: "Du darfst auf deine eigenen Bedürfnisse achten" oder "Du darfst auch gut gemeinte Ratschläge ignorieren". Vielleicht möchtest du dir diese Liste an einen prominenten Platz hängen, wo du dir deine "Erlaubnisse" immer wieder ins Gedächtnis rufen kannst.



 

Einblick | Brief an Mittrauernde

Betroffene zeigen uns einen Ausschnitt ihrer Trauer. Was beschäftigt sie im Moment? Wie leben sie mit dem Verlust? Und was hilft dabei, die nächste Zeit zu überstehen?


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

viele von euch sitzen irgendwie im gleichen Boot wie meine Tochter Sonja und ich: Ihr habt euren Lieblingsmenschen verloren, ob durch lange Krankheit oder durch ein unerwartetes Ereignis. Egal wie: Ihr habt einen "Beziehungsstatus", den ihr niemals wolltet. Es ist auch egal, ob ihr offiziell verwitwet seid oder ob ihr ohne Trauschein ein glückliches Paar wart. Schmerzhaft ist es so oder so.

Bei Sonja und mir jährt sich der Todestag bald zum ersten Mal. Vor einem Jahr, gegen Ende Mai 2023, zeichnete es sich ab, dass der Tumor schneller sein würde als die stärksten Medikamente. Ich durfte viel lernen seitdem, über das Leben, über mich und über alles Zwischenmenschliche. Heute möchte ich euch aufschreiben, was Sonja und mich durch diese Zeit gebracht hat und mehr und mehr nach vorne blicken lässt. Ich schreibe euch das als Ratschläge, ohne dass es Schläge sein sollen. Ob und wie es euch hilft bzw. geholfen hat, müsst ihr für euch herausfinden:

1. Holt euch jede Art von Hilfe und Unterstützung, ob von Familienmitgliedern, Freunden, Ärzten, Psychologen, Beratungsstellen jedweder Art. In den ersten Tagen und Wochen werden euch viele aus dem privaten Umfeld die Unterstützung von selbst anbieten. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto mehr rückt das in den Hintergrund. Macht auf euch und eure Bedürfnisse aufmerksam. Ihr befindet euch in einer Ausnahmesituation.

2. Lernt eure Rechte kennen. Niemand sagt sie euch einfach so. Hierzu drei Beispiele (für Deutschland): Wenn ihr Kinder erzieht, könnt ihr oft statt der Witwenrente die Erziehungsrente beantragen. Diese läuft zwar nur bis zur Volljährigkeit der Kinder, kann aber für euch die finanziell bessere Option sein. Lasst euch das von der Rentenversicherung ausrechnen. Euren Kindern steht Halbwaisenrente zu. Wenn diese niedrig ausfällt, habt ihr oft Anspruch auf Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt eurer Gemeinde. Ihr habt zudem Anspruch auf (kostenlose) Hilfe bei der Kindererziehung, z. B. durch einen Erziehungsbeistand.

3. Akzeptiert, dass sich euer soziales Umfeld ändern wird. Es ist möglich, dass viele nicht wissen, wie sie euch gegenübertreten sollen und somit Kontakte einschlafen. Seht es ihnen nach. Wer keinen Weg findet, mit euch und eurer Ausnahmesituation umgehen kann, ist möglicherweise nicht der richtige Umgang.

4. Sucht euch Menschen, die ein gleiches oder ähnliches Schicksal erlitten haben. Der Austausch ist wichtig, sowohl emotional, als auch in lebenspraktischen Fragen. Wenn es vor Ort keine Trauergruppe o. Ä. gibt, nutzt Angebote im Netz, zum Beispiel:  www.verwitwet.de oder www.nicolaidis-youngwings.de. Auch in den sozialen Netzwerken gibt es entsprechende Gruppen.

5. Lasst nur solche Menschen in eurem Umfeld zu, die euch gut tun. Ihr seid in einer Extremsituation, es ist nicht eure Aufgabe, euch um andere oder um deren Angelegenheiten zu kümmern. Ihr braucht eure Energie und Kraft komplett für euch und natürlich eure Kinder, wenn ihr welche habt.

6. Gestattet niemandem, euer Handeln und euren Trauerprozess zu bewerten und zu beurteilen: Euer Trauerweg ist für euch richtig, es hat niemanden zu interessieren, wie ihr mit der für euch so belastenden Situation umgeht. Insbesondere in Bezug auf eine neue Liebe fühlen sich oft Dritte bemüßigt, zu urteilen und sich moralisch über euch zu stellen. Es ist eure Entscheidung, wann und ob ihr wieder jemanden in euer Leben lasst, ob wenige Wochen "danach" oder nie mehr.

7. Wehrt euch gegen Relativierungen: Niemand hat das Recht, euren Schicksalsschlag zu vergleichen, etwa: Als dies und das passiert ist, ging es mir mindestens genau so schlecht, oder: Eine Scheidung oder Trennung ist ebenso schlimm wie der Tod des Partners, etc.

8. Zuletzt: Findet Dinge, die euch gut tun: Bei Sonja und mir sind es Reisen. Ich bin derzeit allerdings nicht bereit, an Orte zu fahren, wo ich Urlaube mit Veronika verbracht habe. Viel mehr haben wir uns Ziele ausgesucht, an die Veronika nicht so gerne gereist wäre. Bei euch kann das was Anderes sein: Bewegung, ein neues Hobby, gutes Essen, Wellness, etc. oder einfach nur eine Woche im Bett liegen. Es ist OK.

Was für euch gut ist, müsst ihr herausfinden und ausprobieren. Ich wünsche euch dabei gutes Gelingen.


Ein Text von Benjamin
(Blog: Eine Hälfte. Tagebuch eines verwitweten Vaters)

Anderswo



    
Buch: Lückenleben

Fünf Jahre hat Katrin Seyfert ihren Mann durch seine Alzheimer-Erkrankung begleitet. Anfang 50 war er, als er die Diagnose bekam, Arzt und Vater von fünf Kindern. Schonungslos offen und brutal ehrlich erzählt sie davon, wie sie mit der Rolle hadert, die ihr erst als pflegende Ehefrau, dann als Witwe zugeschrieben wird. Und wie sie ihren eigenen Weg findet, sich mit der Lücke, die ihr Mann hinterlassen hat, zu arrangieren. Das Leben schlug zu, mit ihren Texten schlägt sie zurück: gegen die Konventionen, gegen die Tabus, gegen die Selbstverleugnung. penguin.de



     Podcast: Die Bergsteigerin Alix von Melle über ihre Trauer

Alix von Melle verlor vor etwas mehr als einem Jahr ihren Mann Luis Stitzinger am Kangchendzönga. 25 Jahre lang haben sie alles gemeinsam unternommen – nicht nur in ihrer Freizeit auf gemeinsamen Expeditionen, Skitouren und Urlauben, sondern auch ihr berufliches Leben war eng verwoben. Im Podcast Ulligunde (p)lauscht spricht die Bergsteigerin darüber, wie sie die ersten Tage und Wochen erlebt hat, wie sie persönlich mit der Trauer umgeht und was sie anderen Trauernden nach einem Jahr sagen kann. ulligunde.com
 


     Medienbeiträge: Künstliche Intelligenz in der Trauer

Verschiedene Artikel und Dokumentationen beschäftigen sich gerade mit den Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Trauer. Zum Beispiel die Sendung „Better Than Human?“ von ARD Wissen, die der Frage nachgeht, ob KI den Seelsorger oder die Trauerbegleiterin ersetzen kann. Ein Artikel von Der Standard warnt davor, die Persönlichkeit einer verstorbenen Person mit künstlicher Intelligenz zu imitieren. Das Domradio beleuchtet in einem Online-Bericht auch die Chancen für eine neue Trauerkultur.



     Veranstaltungen: Trauerangebote in der Natur

Am Sonntag den 27.10. lädt die Natur- und Erlebniscoachin Daniela Wagner zu einer besonderen Art des Waldbadens im Ebersberger Forst ein: "Gemeinsam wollen wir uns bewusst mit den Themen Endlichkeit, Trauer und Abschied auseinandersetzen und aus der Natur Inspiration für einen bewussten Abschied schöpfen." Daniela Wagner hat 2022 selbst ihren Vater verloren, die Natur hat ihr bei ihrem Trauerprozess sehr geholfen. naturhalt.com

Ebenfalls raus in die Natur geht ein neues Angebot der Stiftung, das am 11. Juli erstmals stattfindet: achtsame Spaziergänge in den Isarauen bei München. Dabei werden Atemtechniken, Konzentrationsübungen und meditative Elemente mit dem Gehen in der Stille vereint. nicolaidis-youngwings.de


    
     Kinderbuch: Radieschen von unten

Ist Sterben schlimm? Kann es auch schön sein? Warum muss man überhaupt sterben? Was passiert dann? Wäre es nicht viel toller, unsterblich zu sein? Und wie ist es eigentlich, wenn man täglich beruflich mit dem Tod zu tun hat? Das Kinderbuch Radieschen von unten richtet sich an Kinder ab acht Jahren und öffnet behutsam die Tür zu einem geheimen Zimmer. Die Welt dahinter ist mal traurig, sogar auch manchmal lustig, und immer besonders und aufregend. klett-kinderbuch.de



     Studie: ÜberLEBEN

Das Projekt ÜberLEBEN will erforschen, welche Veränderungen Hinterbliebene nach Trauerfällen erleben. Die Studie des Instituts für Psychologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg soll Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Trauerbeschwerden und positiven wie auch negativen Lebensveränderungen gewinnen. An der Online-Befragung können volljährige Personen teilnehmen, die in den letzten zwei Jahren einen Angehörigen ersten Grades (Elternteil, Kind), Bruder oder Schwester oder (Ehe-)Partner*in verloren haben. zvfbb.limequery.org

FUNDSTÜCK


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