Der Tod hatte in Michaela Jansens* Leben immer einen Platz. Die heute 63-Jährige aus Bochum war 18, als sie ihren Vater beerdigte. Die Mutter heiratete später wieder, Jansen mochte den neuen Mann. Er erkrankte an Krebs und Jansen half, ihn zwei Jahre lang bis zu seinem Tod zu pflegen. Vor sechs Jahren fiel ihr Bruder, gerade mal 50, einfach tot um.

So unterschiedlich diese Todesfälle waren, eine Sache war bei allen ähnlich. Jansen hatte Rituale. Sie halfen ihr durch die Trauer. Sie halfen ihr, die Verluste zu verarbeiten.

Dann kam Corona. Und in diese Zeit fiel ein weiterer Todesfall. Ihre Mutter starb Ende November. Jansen sagt: "Ich musste Trauern völlig neu lernen." Die Rituale waren weg. Kein letzter Blick auf die Leiche, kein Umarmen am Grab, kein Kaffee mit den Verwandten danach.

Trauer ist ein individueller Prozess, jeder verarbeitet den Verlust eines Menschen anders. Aber es gibt bestimmte Dinge, die es erleichtern, mit dem Tod umzugehen. Trauerbegleiter sagen, dass dazugehören kann, die verstorbene Person vor der Beerdigung noch einmal zu sehen. Auch Umarmungen sind wichtig. "Der Tod löst Emotionen aus. Um die zu verarbeiten, brauchen wir es, berührt zu werden", sagt der Trauerredner Stefan Linsen, 56, aus Haltern am See in Nordrhein-Westfalen. Er macht den Beruf seit 20 Jahren und hat auf der Beerdigung von Jansens Mutter die Trauerrede gehalten. Linsen sagt: "Die Rituale fehlen in der Pandemie einfach. Die aktuelle Situation geht den Leuten an die Nieren."

Und doch zeigt Jansens Geschichte, dass man auch unter erschwerten Bedingungen Wege finden kann, den Verlust zu verarbeiten.

Positiv auf Corona getestet

Jansens Mutter lebte schon vor Beginn der Pandemie in einem Altenheim in Recklinghausen. Sie litt an Alzheimer. An einem Mittwoch im November stürzte sie aus dem Bett und kam zur Kontrolle ins Krankenhaus. Dort wurde nichts Ernstes festgestellt – aber eine Routineuntersuchung auf Corona lieferte ein positives Testergebnis. Die 84-Jährige musste sich im Heim angesteckt haben. Nach nur ein paar Stunden war sie wieder zurück im Seniorenheim und wurde nun isoliert. An der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift "Quarantäne".

Besuchen konnte Jansen ihre Mutter jetzt nicht mehr, so wollen es die Infektionsschutzregeln, die im Seniorenheim gelten. Eine Ausnahme wird nur gemacht, wenn eine Bewohnerin im Sterben liegt.

Zunächst verlief die Corona-Infektion von Jansens Mutter milde. Doch nach einigen Tagen hatte sich ihr Zustand verschlechtert. Eine Mitarbeiterin informierte die Tochter und sagte, die Mutter weigere sich, zu essen, Medikamente zu nehmen, auch trinken wolle sie nichts mehr. Auch am nächsten Tag war das so. Am übernächsten Tag schließlich sollten lebenserhaltende Maßnahmen eingeleitet werden. Jansen bestand darauf, ihre Mutter zu sehen. "Ich wollte einfach hin und verhindern, dass sie an irgendwelche Geräte angeschlossen wird, ohne sie vorher zu sehen", sagt sie.

Das Heim stimmte zu. Vor dem Zimmer der Mutter stand ein Stuhl, darauf ein Schutzkittel, eine Brille, zwei Paar Handschuhe, ein Haarnetz und eine FFP2-Maske. Jansen streifte sich alles über und betrat das Zimmer. Als sie ihre Mutter sah, wusste sie: "Sie hat sich auf den Weg gemacht." Die Augen waren geschlossen, sie wirkte in sich gekehrt.

Jansen hat in ihrem Leben viele soziale Berufe ausgeübt und in einem Hospiz gearbeitet. Sie sagt, man könne den Tod spüren. Ihre Mutter drehte den Kopf, als ihre Tochter neben ihr saß, und öffnete die Augen. "Ich möchte allein sein", habe sie gesagt und den Kopf wieder weggedreht. Es waren die letzten Worte, die ihre Mutter zu ihr sagte.

Jansen wäre trotzdem geblieben, mit Abstand auf einem Stuhl mit Stricksachen und Büchern. Manchmal wollten Menschen kurz vor ihrem Tod noch etwas mitteilen, sagt Jansen. Dieses Angebot hätte sie ihrer Mutter gern gemacht – auch wenn sie immer ein kompliziertes Verhältnis zueinander hatten. Laut den Heimregeln wäre es möglich gewesen, so lange dort zu bleiben, wie sie wollte, aber sowohl die Hausärztin als auch der Stationsarzt rieten ihr davon ab, auch weil sie selbst gesundheitlich angeschlagen war. In den darauffolgenden beiden Tagen besuchte die Tochter ihre Mutter nur noch kurz, die 84-Jährige reagierte da schon nicht mehr.