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Wenn der Partner in der Schwangerschaft stirbt

. . . stehen Frauen vor ganz besonderen Herausforderungen. Mit einem speziell zugeschnittenen Angebot, das auch ein monatliches Online-Treffen „Partnerverlust in der Schwangerschaft“ beinhaltet, wollen wir als Stiftung Betroffene in ganz Deutschland unterstützen und eine Möglichkeit schaffen, Frauen in der gleichen Situation kennenzulernen. Entwickelt wurde das Angebot von Uschi Pechlaner, Leitung der Angebote für Trauernde nach Tod des/der Lebenspartner*in. Im Interview erklärt die Sozialpädagogin, warum das Umfeld oft hilflos ist, welche Ängste die Geburt begleiten und wie Trauernde die „rosa-blaue Babywelt“ erleben.

Uschi, dein Team und du, ihr begleitet häufiger Frauen, deren Partner oder Partnerin in der Schwangerschaft verstorben sind. Wie kommen die Betroffenen bei euch an?

Meist melden sich die Frauen wenige Wochen nach dem Tod ihres Partners/ ihrer Partnerin bei der Stiftung. Junge Trauernde haben ja ohnehin das Gefühl, dass sie mit ihrer Situation völlig alleine sind und niemand sonst in ihrem Alter einen so schweren Schicksalsschlag erleben muss. Schwangere spüren nochmal deutlicher, dass ihr Verlust „nicht vorgesehen“ ist.

Dabei sind gar nicht so wenige Frauen betroffen.

Dass der Partner in der Schwangerschaft verstirbt, kommt häufiger vor, als man annehmen würde. Momentan werden von uns mehr als 30 Frauen in dieser Situation begleitet. Wir gehen davon aus, dass es viel, viel mehr Betroffene gibt, die bei den unterschiedlichsten Anlaufstellen landen oder ganz ohne Hilfe bleiben. Denn bislang gab es keine speziellen Angebote für diese Gruppe. Die Nicolaidis YoungWings Stiftung bietet hier im deutschsprachigen Raum ein einzigartiges Angebot.

Schwangere FrauWas würdest du aus deiner Erfahrung sagen: Mit welchen Anliegen suchen die Frauen denn Unterstützung?

Das hängt davon ab, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten ist. Zu Beginn nimmt die eigene Trauer den größten Platz ein, das Kind spielt eine eher untergeordnete Rolle. Die Schwangerschaft ist in den ersten Wochen und Monaten ja oft noch nicht sehr präsent und bleibt eher abstrakt. Manche Betroffene sagen in dieser Zeit deutlich, dass sie sich überhaupt nicht schwanger fühlen. Je näher die Geburt rückt, desto mehr Raum nimmt das Kind nicht nur körperlich, sondern auch in der Trauerbegleitung ein. Manche Frauen haben Angst, keine gute Beziehung zu dem Ungeborenen aufbauen zu können oder kämpfen mit den Sichtweisen ihrer Umgebung.

Inwiefern?

Das Umfeld sieht Schwangere weniger als Trauernde, sondern vor allem als Mütter. Der Fokus der Familien und Freunde liegt meist auf dem Kind und ist sehr zukunftsorientiert. „Du musst jetzt nach vorne schauen“, „Das Leben geht weiter“, „Wenigstens lebt etwas von ihm weiter“ oder „Du musst jetzt an dein Baby denken“ sind Sprüche, die die Frauen oft hören. Sie treten als trauernde Person in den Hintergrund und fühlen sich wie abgeschnitten von der Vergangenheit. Ihr Schmerz und ihr Verlust bekommen oft zu wenig Raum.

Sind diese Reaktionen des Umfeldes ein Zeichen von Hilfslosigkeit?

Ich denke schon. Solche Erfahrungen machen junge Trauernde ja generell. In der Schwangerschaft kommt erschwerend hinzu, dass das gesellschaftliche Bild dieser Zeit wahnsinnig positiv und emotional gefärbt ist. Egal ob Broschüren in den Arztpraxen, Homepages der Hebammen oder Werbeanzeigen für Kinderwägen: Immer sehen die Frauen heile Familienbilder. Die Schwangerschaft muss eine tolle Zeit sein, in der sich das Paar gemeinsam auf das große Glück vorbereitet.

Eine Sichtweise, die in keinem stärkeren Kontrast zur Realität der Betroffenen stehen könnte.

Ja, das Bild der werdenden Familie ist der brutale Gegensatz zur Erfahrung der endenden Familie. Eine Erfahrung, die die Frauen in ihrer äußeren Realität machen müssen. Innerlich bleibt die Verbundenheit zum Partner und Vater bestehen. Sowohl bei den Frauen, als auch bei ihren Kindern.

Wo ist die (äußere) Lücke für die Frauen in Bezug auf ihre Schwangerschaft am deutlichsten spürbar? Was sind die besonderen Herausforderungen in dieser Situation?

Das fängt schon bei den ganzen Terminen und Aufgaben an, die in dieser Zeit anstehen: Frauenarztbesuche, Geburtsvorbereitungskurs, Einkäufe und natürlich die Geburt an sich. Männer nehmen in dem Prozess eine immer größere Rolle ein und entsprechend einsam sind die Frauen auf diesem Weg. Sie müssen jede Entscheidung alleine treffen. Welche Vorsorgeuntersuchung nehme ich wahr? Ist dieser Schmerz ein Grund, in die Klinik zu fahren? Möchte ich zur Entbindung in ein Kranken- oder ein Geburtshaus? Gerade beim ersten Kind können sich Frauen auf keine Erfahrungswerte stützen. Die Veränderungen sind ungewohnt, neu, oftmals irritierend. Ohne den Partner an der Seite, ist man mit dieser Verunsicherung sehr alleine.

Und auch mit allen widersprüchlichen Gefühlen.

SäuglingJa. Gerade Schwangere müssen eine große Ambivalenz aushalten: Schöne und schmerzhafte Gefühle gehen oft Hand in Hand. Ich kann den Verlust meines Partners zutiefst betrauern und mich gleichzeitig auf das gemeinsame Kind freuen. Während andere Trauernde oft das Bedürfnis haben, dass nach dem Tod des Partners erstmal nichts Gutes mehr bleiben und sich kein Moment positiv anfühlen darf, müssen schwangere Frauen sofort gegensätzliche Pole austarieren: Vergangenheit und Zukunft, Schmerz und Freude, Einsamkeit und Zweisamkeit.

Wie geht es ihnen nach der Geburt?

Viele Frauen haben Angst, dass der Moment nach der Geburt eine nicht aushaltbare Trauer auslöst. Oft ist die Situation dann nicht so schlimm wie erwartet, aber es braucht die Auseinandersetzung im Vorfeld und enge Bezugspersonen, die in dem Moment da sind. Eine andere Sorge ist die, dem Kind keine Brücke zu seinem Vater bauen zu können. Es hat ja selbst keine eigenen, bewussten Erfahrungen, auf die es sich beziehen könnte. Das macht die Erinnerungen der Mutter umso kostbarer und die Angst, diese Erinnerungen zu verlieren, umso größer. Die Frauen stehen im restlichen Leben vor der Herausforderung, eine innere Beziehung von Kind und Vater gestalten zu müssen. Das fängt schon bei ganz grundlegenden Fragen an: Wie sage ich es meinem Kind? Wann ist der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen? Wie halte ich einen Menschen lebendig, den mein Kind nie kennengelernt hat?

Hinzu kommen finanzielle und bürokratische Probleme…

Ja, wie bei den meisten Verwitweten mit kleinen Kindern. Bei Schwangeren beginnen die Hürden allerdings schon bei der Vaterschaftsanerkennung. Sie müssen durch diesen Prozess in einer ohnehin aufreibenden und anstrengenden Zeit. Denn vieles Weitere ist an die Vaterschaft genknüpft: das Erbe zum Beispiel oder die Halbwaisenrente.

Wie können die Angebote der Stiftung – eine Online-Trauergruppe und ein Online-Abendtreff für Betroffene im deutschsprachigen Raum – in dieser Situation helfen?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die „normale“ Trauerbegleitung oft nach der Geburt abgebrochen wird. Das neue Leben stellt erstmal viele Anforderungen, da bleibt wenig Raum für die Auseinandersetzung mit dem Verlust. Diesen Raum möchten wir gerne bieten: in einem niedrigschwelligen, geschützten Rahmen, der sich organisatorisch gut einrichten lässt. Die Betroffenen machen dabei die Erfahrung, dass sie nicht alleine sind. Das ist unglaublich wichtig – egal ob unmittelbar in der Schwangerschaft oder mit größerem Abstand.

Was sind eure Erfahrungen mit den Online-Gruppen?

Die Rückmeldungen sind sehr positiv. Trotz der örtlichen Distanz und der digitalen Kommunikation entsteht sofort das Gefühl einer Solidargemeinschaft. Das ist gerade nach der Geburt sehr wichtig, denn viele Frauen empfinden sich als isoliert, so alleine zuhause mit ihrem Baby. Sie fühlen sich Rückbildungs-, Krabbel- oder Alleinerziehenden-Gruppen nicht zugehörig. Und auch wenn sie sonst auf andere Eltern treffen – bei Nachsorgeuntersuchungen, auf Spielplätzen, in der Krippe – erleben sie eine große Distanz. Schließlich hat man dabei meist mit Paaren zu tun. Mit Paaren in einer vermeintlich heilen, rosa-blauen Babywelt, in die du mit deiner Geschichte das Dunkle bringst.

Wie können Betroffene bei euch Hilfe bekommen?

Neue Teilnehmerinnen werden nach der Anmeldung durch ein Vorgespräch von uns abgeholt, um gemeinsam zu sehen, welches Angebot ihnen individuell helfen kann. Wir wollen, dass Frauen in dieser Situation eine unbürokratische, kompetente Anlaufstelle haben. Sie sollen sich nicht verloren fühlen in einer Zeit, in der sie sich ohnehin als ohnmächtig, haltlos und ausgeliefert erleben.

Uschi PechlanerUschi Pechlaner ist Sozialpädagogin und systemische Beraterin. Sie leitet den Bereich für Trauernde nach Tod des/der Lebenspartner*in in der Nicolaidis YoungWings Stiftung.

INTERVIEW: Lisa Auffenberg [Update 05.12.2023]