Trauer geht uns alle an! Die Stiftung zu Gast beim Podcast „Talking Purpose – Wirtschaft neu denken“
Warum geht Trauer uns alle an? Und welche Rolle spielt sie in der Unternehmens- und Wirtschaftswelt? Darüber sprachen Lana Reb und Karin Neumeier, unsere Vorständinnen der Nicolaidis YoungWings Stiftung (NYWS), zusammen mit Prof. Dr. Martin Burgi, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht an der LMU München, im aktuellen Podcast Talking Purpose – Wirtschaft neu denken von und mit Dr. Annette Bruce. Das Ergebnis ist ein sehr hörenswertes Gespräch über die Bedeutung der Trauerarbeit für die Gesellschaft und insbesondere für die Wirtschaft. Jetzt hier nachhören.
Viele Erwachsene, die von der Stiftung begleitet werden, stehen familiär und beruflich mitten im Leben, wenn ein schwerer Schicksalsschlag sie aus ihrem Alltag reißt. Plötzlich ändert sich ihre komplette Lebenssituation. Zur emotionalen Belastung kommen oft bürokratische und finanzielle Sorgen. Die Betroffenen erleben häufig eine große Ohnmacht und haben das Gefühl, ihre Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit verloren zu haben, berichtete Lana Reb.
Und genau hier setzt die Stiftung seit 25 Jahren an: Allein im Jahr 2023 wurden fast 1.700 Menschen individuell und kostenfrei betreut – Prof. Burgi bezeichnete die Stiftung daher als ein „Social Start-Up“, das seine Expertise auf dem Gebiet der Trauerarbeit aber bereits über Jahrzehnte bewiesen habe. Dennoch finanziert sich die Stiftung größtenteils aus privaten Spenden und Zuschüssen, wie Karin Neumeier informierte. Um die Arbeit der Stiftung auf eine stabile finanzielle Basis zu stellen, brauche es mehr Engagement seitens der Politik und der Wirtschaft.
Trauerarbeit als Fördertatbestand ins Sozialgesetzbuch - Jungen Trauernden eine Stimme geben
Trauerarbeit ist im Sozialgesetzbuch nicht verankert und daher nicht förderfähig – das hören unsere Vorständinnen immer wieder von offiziellen Stellen. Um dies zu ändern, wandte sich Karin Neumeier an den Rechtswissenschaftler Prof. Martin Burgi, der sofort zusagte, ein Gutachten zu diesem Thema zu verfassen. Für ihn war das Thema Trauerarbeit neu, aber es brauchte wenig Überzeugungsarbeit. Prof. Burgi sieht klaren Handlungsbedarf von beiden Seiten: Politik und Wirtschaft.
Das belegen auch die Zahlen der Menschen, die bei der Stiftung Unterstützung bekommen. Allein im Jahr 2022 wurden rund 1.100 Menschen begleitet, 2023 waren es knapp 1.700 Klient*innen. Zugleich hätten Kirchen und Familien, die traditionellen Stützen in der Trauer, an Bedeutung verloren, wodurch die Arbeit der Stiftung immer wichtiger werde, so Prof. Burgi. Psychische Gesundheit und Gesundheitsprävention rückten zudem immer mehr ins öffentliche Bewusstsein und der Bedarf an Trauerbegleitung steige. Doch der „Erfolg“ der Stiftung werde zunehmend zum Problem. Die enorme Zunahme der Anfragen stellt die Stiftung vor die Herausforderung, die nötigen Angebote bereitzustellen, um niemanden in dieser Krisensituation allein lassen zu müssen. Einen ersten Lichtblick gibt es allerdings: Die Stadt München hat diese Lücke in der existenziellen Lebenshilfe erkannt und fördert die Stiftung seit 2024 mit einer jährlichen Regelförderung.
Etablierung von Trauerkultur in Unternehmen
Auch vor der Unternehmenstür macht die Trauer nicht Halt, immer wieder erreichen die Stiftung Anfragen von Wirtschaftsunternehmen. Hier besteht sogar ein doppelter Bedarf, einerseits von Führungskräften, die mit einer trauernden Person oder einem Trauerfall im Team überfordert sind und andererseits von Menschen, die vom Umgang ihres Arbeitgebers mit ihrer Trauer enttäuscht sind. Das könne manchmal bis zu Kündigung einer jahrelang im Unternehmen tätigen Fachkraft führen, weiß Karin Neumeier aus Erfahrung.
Trauerhilfe ist damit mehr als ein „nice to have“. Das unterstreicht auch Prof. Burgi. Unternehmen müssten etwas im sozialen Bereich tun, um ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung im Sinne des "Corporate Social Responsibility" zu entsprechen. Und auch für das Anwerben von Fachkräften sei das Thema relevant. Denn natürlich gebe es Mitarbeiter*innen Sicherheit zu wissen, dass sich das eigene Unternehmen mit der Frage, was in einem Trauerfall passiert, beschäftige.
In letzter Zeit hat die Stiftung erste Schritte auf die Wirtschaft zu unternommen. „Die Unternehmen, die schon mit uns zu tun hatten, sehen auch ganz klar den Nutzen“ bestätigt Lana Reb.
Aber eine flächendeckende Betreuung kann die Stiftung derzeit nicht stemmen. „Wir suchen deshalb Partnerschaften mit der Wirtschaft“, so Karin Neumeier. Für die Unternehmen wäre das eine Entlastung, aber auch ein Investment in die gute Bindung der Mitarbeiter*innen. Das, so Prof. Burgi, sei gut für die Mitarbeiter*innen, aber auch gut für die Unternehmen in einem Umfeld, in dem soziale Verantwortung zunehmend großgeschrieben werde. Für die Stiftung würde es bedeuten, dass sie ihre über 25 Jahre aufgebaute Kompetenz auf ein sicheres finanzielles Fundament stellen könnte, für die Wirtschaft, dass sichergestellt ist, dass sie auch in Zukunft in der Stiftung einen verlässlichen Partner beim Thema Trauer hat. Denn, so Burgi, „die Nicolaidis YoungWings Stiftung baut keine Luftschlösser.“
Lust auf das ganze Gespräch? Jetzt hier nachhören.
Ein besonderer Dank geht an Dr. Annette Bruce, die uns mit dem gemeinsamen Podcast die Möglichkeit gegeben hat, die Themen Tod und Trauer weiter in das öffentliche Bewusstsein zu bringen.