Eingabehilfen öffnen

Skip to main content

Reform der Witwenrente: Welche Änderungen junge Trauernde wirklich bräuchten

11. Oktober 2024

Die Witwenrente wurde erhöht, für wirkliche Entlastung bei den Betroffenen sorgt sie damit trotzdem nicht. Jenny Doppelhofer – Coachin für Sozialleistungen bei der Nicolaidis YoungWings Stiftung – erklärt im Interview, warum die Anpassung nicht ausreicht, weshalb eine Reform dringend notwendig ist und mit welchen Hürden junge Trauernde aktuell kämpfen.

Eine Reform der Witwenrente ist längst überfällig – daran ändert auch die 2024 in Kraft getretene Erhöhung nichts. Zu mühsam sind die Verwaltungsprozesse, zu einschränkend die Hinzuverdienstgrenzen, zu groß die Nachteile im Vergleich zu geschiedenen oder getrenntlebenden Menschen. Wie die Witwenrente reformiert werden müsste, damit junge Trauernde eine angemessene Unterstützung bekämen, weiß Jenny Doppelhofer. Als Coachin für Sozialleistungen berät sie Menschen nach dem Tod des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin in bürokratischen Fragen. Dabei erlebt sie täglich, mit welchen Herausforderungen Betroffene in Sachen Witwenrente konfrontiert sind.

 Jenny, zum 1. Juli 2024 wurde die Witwenrente um 4,57 % erhöht. Bekommen verwitwete Menschen jetzt endlich eine finanzielle Unterstützung, die sie wirklich entlastet?

Nein, das würde ich nicht sagen. Natürlich ist die Anpassung wichtig, aber sie reicht nicht aus. Sowohl die Erhöhung der Rente, als auch die daran gekoppelte Erhöhung der Hinzuverdienstgrenze liegt unter der Inflationsrate 2023. Die betrug laut statistischem Bundesamt 5,9 %. Junge Witwen und Witwer haben damit nicht mehr in der Tasche, sondern lediglich einen Inflationsausgleich bekommen.

Die Witwenrente ist also nach wie vor keine gemütliche Hängematte, in der sich Verwitwete nach einem Verlust in finanzieller Hinsicht ausruhen können – so wie es manchmal in der Öffentlichkeit dargestellt wird.

Auf gar keinen Fall. Die Renten reichen vor allem bei jüngeren Menschen kaum zum Leben. Sie sind oft so gering, weil die oder der Verstorbene aufgrund des Alters noch nicht viel in die Rentenversicherung einzahlen konnte. Was viele nicht wissen: In den ersten drei Monaten stehen Verwitweten zwar 100 Prozent der Summe zu, die sich aus dem Rentenanspruch des oder der Verstorbenen ergeben. Danach erhalten sie aber bei kleiner Witwenrente nur noch 25 Prozent, bei großer Witwenrente 55 Prozent dieses Betrags. Wenn der Ehemann oder die Ehefrau vor dem 65. Lebensjahr verstirbt, wird sogar noch ein Abschlag abgezogen.

Es geht also nicht um große Beträge?

Meistens nicht. Man muss sich vor Augen führen, dass die durchschnittliche Hinterbliebenenrente 2023 bei ca. 700 € brutto lag. Und bei dieser Zahl sind nicht einmal die sogenannten Nullrenten berücksichtigt, also diejenigen Fälle, bei denen wegen des angerechneten Einkommens gar nichts ausgezahlt wird. Angenommen ein Mann stirbt mit 36 Jahren und hat vielleicht bis Ende zwanzig studiert, dann kann es für die verwitwete Frau um einen sehr kleinen Betrag gehen.

Und auch für die gemeinsamen Kinder gibt es keine ausreichende finanzielle Unterstützung.

Genau, die Halbwaisenrente beträgt 10 Prozent, die Vollwaisenrente 20 Prozent des Rentenanspruchs der verstorbenen Mutter oder des verstorbenen Vaters. Das bedeutet, dass fast alle Betroffenen, die keine zusätzliche Absicherung haben, von der Rente allein nicht leben können. Die überwiegende Zahl der Verwitweten, die bei der Stiftung Hilfe suchen, ist erwerbstätig, weil es gar nicht anders gehen würde. Ausruhen kann sich da keiner. Im Gegenteil: Wenn der Hauptverdiener oder die Hauptverdienerin stirbt, dann stehen die Hinterbliebenen unter enormem finanziellen Druck. Meist reicht die Witwenrente nicht einmal aus, um eine Existenzgefährdung zu verhindern.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Monika Schnitzer, eine der Wirtschaftsweisen, sieht die Witwenrente als Fehlanreiz, der vor allem Frauen davon abhält, überhaupt oder mehr zu arbeiten und deshalb den Fachkräftemangel verstärkt. Sie hat vor einiger Zeit sogar für eine Abschaffung plädiert.

Das ist absurd. Was verhindert, dass verwitwete Frauen wieder mit größerer Stundenzahl arbeiten, sind die viel zu geringen Hinzuverdienstgrenzen. Erwachsene dürfen momentan 1038 Euro netto pro Monat dazuverdienen. Für jedes Kind kommen nochmal 220 Euro Spielraum hinzu, ab dann wird die Rente gekürzt – unter das Niveau jeglicher bekannter Armutsgrenzen. Für viele lohnt es sich deshalb nicht, die Arbeitszeit zu erhöhen, weil der Zusatzverdienst auf die Witwenrente angerechnet wird und unter dem Strich auch nicht mehr zum Leben bleibt. Vor allem, weil so gut wie alle Einkommensarten angerechnet werden: Arbeitsentgelt, die eigene Rente, Zinsen und Dividenden, die Photovoltaikanlage… Das ist nach Trennung oder Scheidung anders. Durch das niedrige Gehalt zahlen die Betroffenen wenig in die eigene Rente ein, was leicht zu Altersarmut führen kann. Daran ändert sich auch zukünftig nicht viel.

Mit der Erhöhung der Witwenrente wurde ein sogenannter Sockelbetrag in Höhe von 538€ beschlossen, den Verwitwete anrechnungsfrei hinzuverdienen dürfen. Allerdings wurde die Einführung von der Deutschen Rentenversicherung um zwei Jahre verschoben. Kommt ab 2026 dann eine echte Erleichterung für die Betroffenen?

Nein, leider nicht. Ein Vollzeitjob wird dann nur bis zum Mindestlohn anrechnungsfrei sein. Hinzu kommt, dass die Anrechnung der Einkommensarten sowohl für die Betroffenen als auch für die deutsche Rentenversicherung noch aufwändiger wird.

Neben dem finanziellen Aspekt gibt es für Trauernde ja auch noch andere wichtige Gründe, nicht oder nur in Teilzeit zu arbeiten. Welche begegnen dir in deiner Arbeit?

Viele junge Trauernde haben kleine Kinder und keine guten, stabilen Betreuungsmöglichkeiten, die einen 40-Stunden-Vertrag erlauben würden. Und selbst wenn es sie gäbe, möchten Betroffene für ihre Kinder da sein, sie nach dem Verlust unterstützen und emotional begleiten. Hinzu kommt die eigene psychische Belastung in der Trauer, die sich auch über lange Zeiträume massiv auf die Arbeitsfähigkeit auswirken kann. Gerade in den ersten Monaten nach dem Tod des Ehemanns oder der Ehefrau ist außerdem so viel zu regeln – das ist in dem bürokratischen Dschungel hierzulande schon fast ein Vollzeitjob. Alleine die Beantragung der Witwenrente ist wahnsinnig aufwändig.

Welche Probleme erleben Betroffene dabei?

Oft werden im Antragsprozess Belege gefordert, die schwer zu bekommen sind, zum Beispiel für ein Studium oder eine Ausbildung im Ausland. Bei Fragen ist die Hotline der Deutschen Rentenversicherung sehr schwer zu erreichen. Hat man alle geforderten Unterlagen endlich beisammen, dauert es manchmal Monate, bis der Bescheid da ist. Solange bleiben die Betroffenen komplett ohne finanzielle Unterstützung, wenn sie sich keine Überbrückung organisieren. Und solange haben sie keine Planungssicherheit, weil vieles weitere von dem Bescheid über die Hinterbliebenenrente abhängt, etwa das Bürgergeld oder das Wohngeld. Ich habe vor Kurzem eine Frau beraten, die über ein Jahr keine Witwenrente bekommen und am Existenzminimum gelebt hat – nur von Spenden der Familie.

Was müsste sich deiner Meinung nach an dem bürokratischen Prozess ändern?

Betroffene sind in der Zeit nach dem Verlust in einer absoluten Ausnahmesituation. Sie bräuchten dringend Begleitung bei der Beantragung, vor allem wenn Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Es wäre sehr hilfreich, wenn die Deutsche Rentenversicherung mehr unterstützen würde und besser erreichbar wäre – auch über verschiedene Kommunikationswege. Die zuständigen Ansprechpartner*innen sind leider oft keine Expert*innen für junge Hinterbliebene und zum Teil überfragt. Zum Beispiel, wenn es um die Erziehungsrente geht, die auch für Verwitwete eine Option ist. Was den ganzen Prozess außerdem sehr beschleunigen würde, ist, wenn die Rentenversicherung selbständig Informationen bei anderen offiziellen Stellen einholen könnte und die Nachweislast nicht bei den Betroffenen liegen würde.

Nicht alle Menschen erhalten nach dem Verlust des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin eine Witwenrente. Wer fällt durch das Absicherungsnetz?

Wenn Betroffene weniger als ein Jahr verheiratet waren, wird von einer Versorgungsehe ausgegangen. War die Todesursache kein Unfall, wird unterstellt, dass die Ehe nur zustande kam, um die Witwenrente zu erhalten. Keinerlei Unterstützung erhält außerdem, wer die Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt hat. Das heißt, wessen Partner oder Partnerin nicht mindestens fünf Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat.

Und natürlich, wer nicht verheiratet war.

Genau. Das ist nicht nur problematisch, weil Betroffene es als Herabsetzung und Absprechen ihrer Bedeutung für den oder die Verstorbene erleben. Vor allem wenn es gemeinsame Kinder gibt, sind Alleinerziehende nach einem Verlust stark benachteiligt gegenüber getrennten oder geschiedenen Personen. Sie bekommen lediglich Halbwaisenrente, Kindergeld und Unterhaltsvorschuss, auf den die Halbwaisenrente aber angerechnet wird und der in der Regel deutlich niedriger ist als der theoretische Unterhaltsanspruch im Trennungsfall. Hinzu kommt: Geschiedene oder getrennte Menschen haben keine Hinzuverdienstgrenze, Witwen- und Halbwaisenrenten werden versteuert – Unterhaltszahlungen nicht.

Wenn du die Witwenrente neu regeln und die entsprechenden Gesetze umschreiben könntest: Was würdest du ändern?

Da fällt mir einiges ein:

  1. Es sollte eine Regelung geben, wie man neben dem Trauschein eine Lebenspartnerschaft nachweisen kann. Auch unverheiratete Menschen sollten einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben, wenn sie in einer festen Partnerschaft leben.
  2. Die Witwen- und Halbwaisenrenten sollten nicht mehr versteuert werden.
  3. Die Hinzuverdienstgrenze sollte abgeschafft werden, um den Betroffenen mehr finanzielle Spielräume und eine gute Absicherung für das Alter zu ermöglichen. Nach den jetzigen Regelungen kann passieren, dass die Witwenrente als Unterstützung komplett wegfällt, weil Betroffene von der Witwenrente plus dem Gehalt unterhalb Hinzuverdienstgrenze nicht leben können und mehr erwirtschaften müssen. Eine Abschaffung würde außerdem komplizierte Verrechnungen unnötig machen und den Verwaltungsaufwand sehr reduzieren.
  4. Jede*r sollte unabhängig von seinem oder ihrem Verdienst einen Anspruch auf einen wesentlichen Teil dessen haben, was der Partner oder die Partnerin für die Rente eingezahlt hat.
  5. Die Hinterbliebenenrenten sollten auf der Basis des Jahresarbeitsverdiensts und nicht des Rentenanspruchs berechnet werden, weil das dem tatsächlichen finanziellen Ausfall der Betroffenen eher entspricht.
  6. Bestimmte Einkommensarten sollten nicht auf die Witwenrente angerechnet werden, z. B. Einnahmen aus Vermietung.
  7. Es bräuchte kompetentere Beratung für die Hinterbliebenen in Bezug auf Renten-, Steuer- oder Erbfragen und eine klare Anlaufstelle, bei der alle Informationen gebündelt sind. Junge Betroffene bräuchten spezialisierte Expert*innen zu allen Themen und Entscheidungen in der Lebensmitte.
  8. Die Rentenabfindung sollte erhöht werden, damit es einfacher und finanziell möglich ist, sich für eine neue Ehe zu entscheiden.

Weiterführende Links:

https://www.vamv-bayern.de/fuer-eine-gerechte-hinterbliebenenrente/

https://verwitwet-alleinerziehend.de/bundesministerium-arbeit-und-soziales/